Eine weitere Saison der Handball-Bundesliga ist vorbei – und was für eine! Spannung bis zum letzten Spieltag: Oben wie unten wurde gezittert und gebangt. Kaum war der letzte Ball geworfen, landeten auch schon die Jubel-E-Mails der DAIKIN Handball-Bundesliga in meinem Postfach: Zuschauerrekorde, jede Menge Auszeichnungen, Medienrechte in Indien wurden verkauft usw.

Alles spitze in der Handballwelt also? Weitermachen?

Mitnichten. Und der Slogan der Handball-Bundesliga wird dabei aus meiner Sicht zu einem Sinnbild und einem Problem für den deutschen Handball.

Diesen Artikel habe ich zuerst auf Linkedin veröffentlicht, wo sich daraufhin eine spannende Diskussion ergeben hat.
handball-world.news hat den Beitrag dann am Folgetag als Leitartikel veröffentlicht.

Das hört sich gut an – hey, wir sind die besten! Und es verfängt. Wenn ich mit Menschen aus anderen Sportarten sprechen, die mit Handball wenig zu tun haben, dann kommt oft zumindest: “Die Handball-Bundesliga ist doch die beste Liga der Welt, oder?”

Ja genau, ist sie – mit großem Abstand, wenn wir die internationalen Ergebnisse der Clubs in diesem Jahr wieder einmal betrachten.

Aus meiner Sicht richtet dieser Claim inzwischen mehr Schaden an als dass er nützt. Er lullt uns ein.

Was ich damit meine

1. Wem wollen wir hier eigentlich etwas beweisen?

Ich bin jetzt 34 Jahre alt und verfolge die HBL und den internationalen Handball seit mehr als zwei Jahrzehnten.

Entwicklungen seitdem bei der “Konkurrenz”:

  • Die spanische Liga ist spätestens mit dem Abgang von Ciudad Real zur One-Club-Show geworden
  • In Frankreich dominiert Paris Saint-Germain – dahinter folgen zwei, vielleicht drei ernstzunehmende Teams auf europäischem Niveau
  • In Dänemark ist die Liga zwar gewachsen, bleibt aber schmal: Nur 14 Teams mit teils großen Leistungsunterschieden
  • In Osteuropa stagniert das Niveau, in einigen Ländern ist es sogar rückläufig
  • In Schweden hat sich gerade der Meister & Pokalsieger Ystads dazu entschieden, aus wirtschaftlichen Gründen nicht europäisch anzutreten, lohnt sich nicht

Und das wars auch schon. Ganz ehrlich und wirklich nicht böse gemeint für irgendeine dieser Ligen: Für mich wirkt das ein wenig so, als würde sich ein Viertklässler feiern, weil er beim Vorschulturnier dominiert hat. Das ist keine Leistung.

2. Wir schauen auf die falsche Konkurrenz

Darum geht es eigentlich. Andere Handball-Ligen sind nicht unsere Konkurrenz. Was wollen wir denn erreichen? Dass jetzt ein Schwede am Wochenende nicht die eigene oder dänische Liga einschaltet, sondern die deutsche Handball-Bundesliga?

Nein, wir betrachten das vollkommen falsch. Meine große Befürchtung ist, dass wir vor lauter “stärkste Liga der Welt” nicht merken, wie um uns herum der Markt immer weiter schrumpft. Was bringt dir die stärkste Liga, wenn sich niemand mehr für den Sport interessiert, in dem sie spielt?

Die eigentliche Konkurrenz kann aktuell vor Kraft kaum laufen: Die neuen Fußballformate wie Baller League, Icon League und Co. ziehen immer mehr Sponsoren, Fans und Investoren an. Sportarten wie Schach (ja, das ist wirklich ein Sport) haben sich in den vergangenen Jahren komplett neu erfunden und sind zu einem Trendsport der jungen Zielgruppe geworden. Die NFL erobert Europa, jetzt plant die NBA das gleiche.

Was lernen wir daraus? Wer schaut sich diese Entwicklungen überhaupt an – strategisch, nicht nur aus der Distanz?

3. Die HBL kann (und sollte) mehr erzählen

Was Frank Bohmann und sein Team in den letzten 20 Jahren aufgebaut haben, verdient höchsten Respekt. Als ich damals als Praktikant beim DHB in Dortmund anfing, saß die HBL noch mit ein paar kleinen Büroräumen im Hinterhaus – heute ist sie professionell aufgestellt, wirtschaftlich erfolgreich und international sichtbar.

Gerade deshalb ist es so gefährlich, wenn man sich im eigenen Erfolg einrichtet. Wenn die eigene Stärke zum Maßstab wird und nicht mehr zum Antrieb.

Der Claim hat sich inzwischen so tief eingebrannt, dass er reflexartig auftaucht – in Transfermeldungen, Interviews, Pressemitteilungen.

Natürlich ist das für jeden Spieler eine Ehre in der stärksten Liga der Welt zu spielen, keine Frage. Aber: Wollen wir es wirklich dabei belassen?

In meiner Erinnerung hatten wir selten so viele junge, talentierte Spieler in der Liga wie aktuell. Sind das nicht perfekte Voraussetzungen, um neue Zielgruppen zu erreichen? Um nicht nur Handball-Kenner zu begeistern, sondern auch die, die den Sport erst entdecken?

Sind wir ein Rentnersport? Altersverteilung der deutschen Handball-Fans im Vergleich zur Altersverteilung der deutschen Bevölkerung.
Sind wir ein Rentnersport? Altersverteilung der deutschen Handball-Fans im Vergleich zur Altersverteilung der deutschen Bevölkerung.

Mein Eindruck ist: Wir reden viel über das, was wir sind – und schlagen auch super gerne mal Alarm, wenn etwas nicht läuft. Wir kommunizieren viel für unsere eigene kleine Blase. Aber viel zu selten sprechen wir darüber, was wir werden wollen. Was wir wirklich erzählen könnten. Und wie.

Statt Zukunftsvisionen oder ein bisschen Mut zur Veränderung, stattdessen lieber immer wieder: Stärkste Liga der Welt.

Was auf dem Spiel steht

Die Warnzeichen sind alle da: Mittlerweile stellt uns sogar das IOC in Frage. Wenn mittlerweile die olympische Bühne wackelt, wird klar: Es geht nicht mehr um kurzfristige sportliche Erfolge der Bundesligisten oder Zuschauerrekorde – es geht um die Zukunft des Sports.

Die echte Konkurrenz kommt längst nicht mehr aus Montpellier oder Szeged – sondern aus der NFL, der Baller League, dem E-Sport und vielleicht bald der NBA Europe. Neue Formate gewinnen Reichweite, Sponsoren und junge Zielgruppen. Sie sind sichtbar, unterhaltsam und anschlussfähig.

Wir müssen jünger werden (siehe Grafik oben), wir müssen internationaler werden.

Und was macht der Handball?

  • Auf YouTube? Auch in 2025 kaum vorhanden.
  • Auf Twitch? Da hält SPRUNGWURF.TV alleine die Stellung.

  • Auf TikTok? Immerhin: HBL und DHB gehören zu den aktivsten Playern. Aber das war’s dann auch.
  • In der Lebensrealität der Gen Z? Noch lange nicht angekommen.

Niemand erwartet, dass die HBL den gesamten Handball rettet.

Aber sie ist unser Aushängeschild. Unser Leuchtturm. Neben der Nationalmannschaft das sichtbarste Produkt, das wir haben.

Und genau deshalb hat sie eine besondere Verantwortung:

  • gegenüber den Clubs, denen sie Orientierung geben kann (und auch entsprechende Vorgaben machen kann)
  • gegenüber anderen europäischen Ligen, die sie inspirieren und an die Hand nehmen könnte
  • gegenüber dem Sport als Ganzem, der seit Jahren auf einem Entwicklungs-Plateau stehengeblieben ist

„Stärkste Liga der Welt“ – das sollte nicht nur ein Titel sein, den man sich selber gegeben hat. Das sollte auch heißen: Vorbild sein. Impulse setzen. Verantwortung übernehmen.

Und genau das fehlt mir

  • Eine klare Strategie, eine Idee, wie wir wachsen – in Zielgruppen, in Märkten, in Formaten
  • Nicht nur ein paar Inhalte mit Reichweite, sondern echte Relevanz

  • Und: Ein sichtbares Signal, wie die Liga den nächsten Schritt gehen will – gemeinsam mit den Clubs und über Deutschland hinaus

Ich bin nicht nah genug dran, um beurteilen zu können, welche strategischen Überlegungen es intern vielleicht längst gibt. Aber als Beobachter, Fan und jemand, der dem Sport verbunden ist, nehme ich davon jedenfalls wenig wahr.

Denn genau hier liegt die Gefahr: Wenn wir weiter stolz verkünden, die „stärkste Liga der Welt“ zu sein – aber niemand mehr hinschaut –, dann war dieser Titel am Ende vielleicht nicht unser größter Erfolg, sondern unser größter Irrtum.

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